Donnerstag, 26. April 2007

Kommunikative Konzepte statt Richtlinien für das Zusammenleben

Wohnungsvergabe allein kann das Zusammenleben von Menschen in großen Wohnanlagen nicht regeln. Dazu braucht es kommunikative Ansätze, wie uns das Beispiel Rheinstrasse Süd in Bregenz zeigt.

Unter dem Titel „Nebeneinander Wohnen, gemeinsam Leben“ wurden die künftigen BewohnerInnen einer neuen Wohnanlage (4 Objekte mit insgesamt 62 Wohnungen, zu 40% Menschen mit Migrationshintergrund, ca. 100 Erwachsene und 50 Kinder) schon vor dem Wohnungsbezug vom Institut für Sozialdienste Vorarlberg professionell begleitet.

In einem moderierten Prozess zwischen künftigen BewohnerInnen, Bauträger/Hausverwaltung und Stadt Bregenz wurde versucht, ein offenes, sachliche orientiertes und tolerantes Zusammenleben der Generationen und Kulturen zu gestalten.

Ziele des Projektes:

• Eine Wohnanlage als Lebensraum begreifen, in dem jede/r für die Kultur des Zusammenlebens mitverantwortlich ist;
• Vorurteile, Ängste und Schwellen durch begleitete Kommunikation und Begegnung verringern;
• Aufbau von Hausgemeinschaften
• Mögliche nachbarschaftliche Konflikt nicht wegharmonisieren aber Ressourcen der BewohnerInnen für deren Analyse und Bearbeitung mobilisieren;
• Positive Identifikation mit der Wahnanlage
• Gemeinsam Regeln des Zusammenlebens erarbeiten (eigene Hausordnung)

Der Ablauf von der offiziellen Wohnungsvergabe bis zum gestaffelten Einzug in die Wohnanlage erstreckte sich über 5 Monate und kostete 8.000 Euro wovon die eine Hälfte vom Bauträger, die andere Hälfte von der Stadt Bregenz übernommen wurden.

Nach ersten Treffen zum gegenseitigen Kennenlernen und Baustellenbegehungen zum Kennenlernen des künftigen Daheims wurde durch aktivierende Befragungen aber auch Diskussionen festgestellt, was den einzelnen BewohnerInnen für das Zusammenleben wichtig ist.

In einer Versammlung aller künftigen MieterInnen, an der 80% (!) teilnahmen, wurde dann gemeinsam eine Hausordnung erarbeitet.

Der Prozess, aber auch die Freigabe der Hausordnung war für die „Wohnbauselbsthilfe“ = Bauträger und Verwalter eine neue wichtige Erfahrung, die er künftig zum Standard machen will.

Nach der gestaffelten Schlüsselübergabe (Ende Feber 07) fand eine symbolische Wohnungsübergabe in Form eines Festaktes statt, an dem sich Nahversorger und Dienstleistungsbetriebe der Umgebung mit Geschenken beteiligten.

Eine MieterInnengruppe ist dabei, ein Siedlungsfest für Juni zu planen, die Moderatorin wird weitere Gespräche mit den BewohnerInnen führen, um die Einhaltung der selbst gegebenen regeln zu evaluieren und die Kür von HausprecherInnen vorzubereiten, regelmäßige Treffen der MieterInnen sollen zum Standard werden.

Ergebnisse
• Auf politischer Ebene
– Umsetzung der Gedanken des Integrationsleitbilds
– Ein Instrument um Vorurteilen vorzubeugen
– Öffentlicher Blick auf „Ausländersiedlung“ hat sich verändert
• Auf der operativen Umsetzungsebene
– Stellenwert der Begleitung wurde erkannt
– Erweiterung des Handlungsspielraums für Hausverwaltung
– Einzugsbegleitung soll Standard werden
• Auf der Ebene der MieterInnen
– Grundstein für Ausbau der Kontakte wurde gelegt
– Gesprächsbasis für zukünftige Probleme hergestellt
– Im näheren Kontakt können sich Vorurteile entschärfen
– Okay zusammen leben
– Aufgeschlossene, an De-Eskalation interessierte JournalistInnen

Wohnungsvergabe neu

Wohnungsvergabe neu
über die falsche Richtung eines kleinlichen Entwurfs und andere vergessene Ideen




Ziele der städtischen Wohnungsvergabe

Anhand allgemeiner Ziele soll überprüfbar werden, ob die Vergaberichtlinien dabei helfen, diese Ziele zu erreichen. Punktebewertungen, die dabei nicht hilfreich sind, sollen gestrichen werden. Für uns GRÜNE sind die folgenden Ziele wesentlich:

1. Wohnraum für Menschen, die ihren Wohnbedarf nicht am freien Markt decken können nach dem Prinzip „Wer eine Wohnung braucht, soll eine Wohnung bekommen“
a. Städtische Wohnungen sollen Menschen mit dringendem Wohnbedarf möglichst sofort zur Verfügung stehen. Spiralen wie kein Job – keine Wohnung, keine Wohnung – kein Job sollen dadurch verhindert werden.
b. Städtische Wohnungen sollen Menschen mit niedrigem Einkommen möglichst kurzfristig zur Verfügung stehen
c. Städtische Wohnungen sind eine staatliche Transferleistung und auch als solche zu verstehen. Ihre Wirkung ist deshalb entsprechend anzupassen. Menschen, die am allgemeinen Wohnungsmarkt benachteiligt sind, sollen über die städtische Vergabe einen Ausgleich erhalten.
2. Preisdämpfende Wirkung auf den allgemeinen Wohnungsmarkt
3. Verbesserung der Wohnsituation breiter Bevölkerungsschichten hinsichtlich Größe, Ausstattung und Preis der Wohnungen
4. Sicherheit langfristiger Mietverhältnisse
5. Transparenz in der Vergabe städtischer Wohnungen


Ziele der städtischen Wohnbaupolitik

Wir Grüne tragen das Ziel guter Durchmischung nach sozialen Kriterien in der Stadt und im sozialen Wohnbau mit. Wir gehen jedoch davon aus, dass diese Durchmischung insbesondere durch nachhaltig geplante Wohnbautätigkeit erreicht wird. Neubau soll automatisch verschiedene Wohnungsgrößen und –kategorien beinhalten sowie Mischnutzungen, etwa als Wohnhaus und Studierendenheim vorsehen.

Im bestehenden städtischen Wohnbau kann die Wohnungsvergabe nur sehr wenige Probleme lösen. Wir glauben, dass es dafür andere begleitende Maßnahmen braucht, von Projekten wie der partizipativen Einzugsbegleitung über interkulturelle MediatorInnen, Projekte wie Lernen im Park etc etc. Das Ziel der Schaffung kommunikativen Handelns ist eine besonders wichtige Aufgabe der Stadtpolitik. Zu glauben, über eine Neuregelung der Wohnungsvergabe ließen sich alle Konflikte lösen, ist naiv. Kommunikative Konzepte scheinen uns dabei viel erfolgversprechender.

Der Grundsatz des diskriminierungsfreien Zugangs zu städtischen Wohnungen ist für uns unantastbar und gesetzlich verankert. Aufgabe der städtischen Wohnungspolitik ist es vielmehr, affirmative action zu betreiben und diskriminierte Gruppen besonders zu fördern. Vom freien Mietmarkt ausgeschlossen sind in Innsbruck insbesondere MigrantInnen und in Teilbereichen Studierende sowie Menschen ohne eigenes Einkommen.


Überblick über die bisherigen Neuordnungen der Wohnungsvergaben in Innsbruck

Die 1990er Jahre in Innsbruck
Anfang der 1990er Jahre war es das Verdienst der GRÜNEN, die städtische Wohnungsvergabe vom Vorsprechen bei den Parteien und von der Vergabe durch die Fraktionen je nach ihrer Stärke, in ein transparentes und soziales Vergabesystem durch Richtlinien und Punktesystem umgewandelt zu haben. Von der Parteibuchwirtschaft zu Objektivität und sozialen Kriterien war ein (grüner) Meilenstein städtischer Sozial- und Wohnungspolitik.

Die derzeitigen Richtlinien stammen aus dem Jahr 2004. #
Damals wurde die Unterscheidung zwischen gebürtigen und nicht gebürtigen InnsbruckerInnen aufgehoben. Vorgemerkt werden können seitdem auch junge Erwachsene ab 25 Jahre, die ein Zimmer bei ihren Eltern in einer städtischen Wohnung haben. Auch die Regelung von 15 Jahren Berufstätigkeit in Innsbruck als anspruchsbegründend wurde eingeführt. Darüber hinaus ein Kontingent für Drittstaatsangehörige. Auch die Intensivierung des Wohnungstauschs für ältere Menschen war damals schon ein Thema. (Vgl.: Presseaussendung von Marie-Luise Pokorny-Reitter vom 18.3.2004)

Und was liegt jetzt am Tisch?

Anhand der oben genannten Ziele einer städtischen Wohnungsvergabe muss gesagt werden:

1. Wohnraum für Menschen, die ihren Wohnbedarf nicht am freien Markt decken können nach dem Prinzip „Wer eine Wohnung braucht, soll eine Wohnung bekommen“
a. Städtische Wohnungen sollen Menschen mit dringendem Wohnbedarf möglichst sofort zur Verfügung stehen.
Spiralen wie kein Job – keine Wohnung, keine Wohnung – kein Job sollen dadurch verhindert werden. Dieses Ziel wird durch den Vorschlag der Koalitions-SPÖ nicht erreicht. Für Wohnungslosigkeit gibt eine viel zu niedrige Bewertung. Andere Städte sind dabei mutiger. Bregenz gibt dafür besonders viele Punkte, Wien hat eine eigene Kategorie Notfallwohnungen geschaffen. Wer ganz dringend in Innsbruck eine Wohnung braucht kann nicht mir Wohnversorgung rechnen. Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe werden nicht besonders berücksichtigt, und minderjährige Wohnungslose können sich nach wie vor nicht vormerken lassen.
b. Städtische Wohnungen sollen Menschen mit niedrigem Einkommen möglichst kurzfristig zur Verfügung stehen. Dieses Ziel wird mit dem Vorschlag der Koalitions-SPÖ nicht erreicht. Das Einkommen wird als Kriterium im Vorschlag nur mehr halb so stark bewertet wie jetzt. Stattdessen gibt es mehr Punkte für die Vormerkdauer. Damit wird der Idee sozialer Wohnungsvergabe geradewegs entgegen gearbeitet. Minderjährige mit Kindern als Gruppe, die besonders armutsgefährdet ist, werden wieder nicht zur Wohnungsvergabe zugelassen. Bei Privatkonkursen wird leider wieder nicht auf das tatsächlich zur Verfügung stehende Einkommen abgestellt sondern auf das Einkommen am Einkommensnachweis. Diese Menschen haben jedoch tatsächlich weniger Einkommen zur Verfügung als es scheint und sie brauchen deshalb billigen Wohnraum.
c. Städtische Wohnungen sind eine staatliche Transferleistung und auch als solche zu verstehen. Ihre Wirkung ist deshalb entsprechend anzupassen. Menschen, die am allgemeinen Wohnungsmarkt benachteiligt sind, sollen über die städtische Vergabe einen Ausgleich erhalten. MigrantInnen sind am freien Wohnungsmarkt immer noch benachteiligt. Wir alle kennen die (verbotenen) Wohnungsannoncen „bitte nur Inländer“, und wer einmal versucht hat, eine Wohnung gemeinsam mit jemandem zu suchen, der nicht perfekt Deutsch spricht, der weiß dass die Diskriminierung noch viel tiefer geht. Der Vorschlag der Koalitions-SPÖ trifft MigrantInnen gleich mehrfach: hohe Kinderzahlen werden schlechter bepunktet, Vormerkung junger Erwachsener die noch bei den Eltern wohnen ist nicht mehr an Überbelag gekoppelt, Einkommen wird weniger stark bewertet, lange Hauptwohnsitzdauer in Innsbruck bekommt Extrapunkte, lange Vormerkdauer bekommt Extrapunkte. Die Präambel der Richtlinie, die soziale und ethnische Durchmischung fordert öffnet zudem die Hintertür für die Stadträtin für Vergaben außerhalb des Punktesystems.
2. Preisdämpfende Wirkung auf den allgemeinen Wohnungsmarkt. Dafür bietet eine Richtlinie zur Wohnungsvergabe nur wenig Möglichkeiten. Lediglich einzelne Maßnahmen wie Wohnungssplitting, Familiensplitting oder die Öffnung für Wohngemeinschaften könnten kleine Effekte bringen. Effektiver wären Maßnahmen außerhalb der Wohnungsvergaberichtlinie, etwa die Abschaffung der Mietvertragsvergebührung.
3. Verbesserung der Wohnsituation breiter Bevölkerungsschichten hinsichtlich Größe, Ausstattung und Preis der Wohnungen. Wenn städtische Wohnungsvergabe dieses Ziel verfolgen will, dann muss sie sich damit anfreunden, sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten durch eine städtische Wohnung zu besserem Wohnraum zu verhelfen. Gerade aus diesem Grund braucht es Maßnahmen neben der Wohnungsvergabe, die kommunikative Konzepte darstellen statt Richtlinien für das Zusammenleben.
4. Sicherheit langfristiger Mietverhältnisse. Diesem Ziel wird durch die Erleichterung des Wohnungstausch insbesondere für ältere Menschen teilweise entsprochen. In anderen Bereichen sieht die Richtlinie jedoch auch Erschwerungen des Wohnungstauschs vor, wodurch langfristige Mietverhältnisse gefährdet werden, wenn beispielsweise dauernder Überbelag in einer städtischen Wohnung ohne Chance auf Wohnungstausch entsteht.
5. Transparenz in der Vergabe städtischer Wohnungen. Durch den Vorschlag der Koalitions-SPÖ wird die Transparenz der Wohnungsvergabe weder erhöht noch verschlechtert.

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